Hussam O. aus Syrien, Altenpfleger
Hussam mag alte Menschen. Das ist gut so, denn Hussam ist Pflegehelfer in einem Altenheim. „Die alten Leute erzählen viel von der Vergangenheit, was früher passiert ist.“ Der 36jährige schaut nachdenklich. „Ich höre sie gern, die Geschichten. Eine erzählt, wie war sie als Kind und wie war es nach dem Krieg, oder was sie gearbeitet hat. Oder eine erzählt,“ – hier lächelt er fast spitzbübisch – „wie sie einen Mann gefunden hat.“
Hussam O. ist in Syrien geboren, vor dem Bürgerkrieg geflohen, seit 2016 mit politischem Asyl in Deutschland und inzwischen auch deutscher Staatsbürger. Sein Deutsch ist gut, sein Chef mit ihm zufrieden. So, dass Hussam sich die weitere Ausbildung zur Pflegefachkraft zutraut, der Chef will es ihm ermöglichen. Bis jetzt ist er ein „Angelernter“, im Dreischichtbetrieb. Frühdienst ab 6 bis 14 Uhr, Spätdienst ab 13 bis 21 Uhr und Nachtdienst ab 21 bis 6 Uhr morgens. „Nacht mag ich lieber als Tag. Vielleicht weil,“ Hussam überlegt, „als ich nach Deutschland kam, hatte man nichts zu tun, man blieb immer nachts wach und hat am Tag geschlafen.“ Aber eine Woche Nachschicht bringt auch Probleme, denn danach findet er regelmäßig erstmal keine Nachtruhe. Zwei Tage frei, dann Frühdienst – wer in Schicht arbeitet, kennt das.
Zu Hause in Syrien hat die Familie eine Druckerei betrieben und Druckmaschinen gehandelt. Wie ist er auf die Pflege gekommen? „Ein Bekannter von mir hat den Job angefangen, da war ich noch im Deutschkurs. Also,“ hier wird Hussam ganz pragmatisch, „der geht zur Arbeit und ich bleibe zuhause, das ist langweilig. Er hat was zu tun, ich habe nichts - so kam die Idee.“ Die Arbeitsagentur bietet einen Kurs zur Jobfindung, Hussam fragt einen Lehrer nach Pflegeberufen, der hilft ihm bei Bewerbungen. Darauf folgen ein halbjähriges Praktikum, danach ein Umzug nach Pinneberg, wo der Kumpel einen neuen Job gefunden hat und ziemlich rasch die Anstellung in einer Zeitarbeitsfirma. Hussam muss gut sein in seiner Arbeit, denn das Heim, in dem er eingesetzt wird, bestellt gerade ihn übers Jahr immer wieder. „Da hab ich den Schichtleiter gefragt, ob ich hier fest arbeiten kann. Natürlich, sagt der, sofort kannst du das! Also hab ich mich beworben.“ Heute hat er einen festen Arbeitsvertrag und sagt: „ich bin sehr zufrieden, da sind freundliche, gute Kollegen“.
Gibt es auch dunkle Seiten? Hussam zögert, und die Antwort fällt ihm nicht leicht. „Wenn Leute sterben, ist es schwer. Wenn sie nicht mehr essen und trinken – manchmal geht das schnell, manchmal dauert es, das ist wirklich hart.“ Wie wird er damit fertig? „Wir sprechen, die Kolleginnen und Kollegen, weil sie alle ähnliche Erfahrungen haben.“
Seit 2012 hat er die Eltern und seine beiden Schwestern nicht mehr gesehen. Was ihm hilft – und was bitter nötig ist, denn Familie ist in Hussams syrischer Heimat der Ort für Wärme und Geborgenheit – sind die sozialen Medien. Hier tragen sie ihren Namen zurecht. „WhatsApp-Anrufe. Und meine Mutter über Kameravideos sehen, jeden Tag.“ Wirklich jeden Tag? Hussam lächelt, ein bisschen traurig. „Zwei, dreimal am Tag. Wenn ich zum Spätdienst gehe, habe ich vorher mit ihr am Handy gesprochen und wenn ich wieder zurück nach Hause gehe, rufe ich sie gleich an.“
Aber er ist nicht mehr allein in der Fremde. Seit einem Jahr ist seine Frau Sana an seiner Seite. Zwei Jahre hat er gebraucht, sie herzuholen. „Ich kenne sie seit über 20 Jahren. Wir waren Kinder, wohnten auf der gleichen Straße und gingen zusammen zur Schule, dann kam der Krieg.“ Sana lernt jetzt Deutsch, die erste Prüfung ist bestanden. Sie will Tierpflegerin werden, auch das ist inzwischen hierzulande ein Mangelberuf – also: Erst geflüchtet, jetzt geschätzt.
Das Interview führte Sabine Rheinhold